Sind wir jetzt in West- oder in Ostberlin? Das war anfangs nicht ganz klar, denn das Schulz-Hotel steht direkt neben der Berliner Mauer, bzw. ihren von Künstler:innen bunt gestalteten Resten, die als East Side Gallery allen Berlin-Touristen ein Begriff sind. Fünf Tage lang, vom 5. bis 9. Februar 2024, erkundeten 135 (!) Zehntklässler:innen und zwölf Lehrkräfte gemeinsam oder in kleinen Gruppen die Geschichte und Gegenwart der einst geteilten Stadt.
Den Anfang machte am Montagabend eine kulinarische Exkursion in den nahegelegenen Stadtteil Friedrichshain. Der Dienstag stand im Zeichen der politischen Bildung. Die zwei Klassen des SWG-Zweigs bekamen vormittags eine aufschlussreiche „lobbykritische Stadtführung“ des Vereins Lobbycontrol und blickten hinter die Kulissen des Berliner Lobbyistenzirkus (z.B. Verband der chemischen Industrie, Deutscher Brauerverband, Volkswagen und BMW), andere besuchten das Dietrich-Bonhoefferhaus oder führten sich selbst durch die Sehenswürdigkeiten von Berlin-Mitte.
Anschließend besuchten wir den Bundestag im Reichstagsgebäude – leider ohne Abgeordnete live zu sehen, da gerade keine Sitzungswoche war. Spannend: Wir konnten die physischen Folgen der Abspaltung der Sarah-Wagenknecht-Partei von der Linken für das Bundestagsplenum mitverfolgen. Da jetzt beide Gruppen zu klein für den Fraktionsstatus geworden sind, rutschen sie im Bundestag nach ganz hinten – mit Folgen für die Sitzordnung und für die Handwerker des Bundestags: Unter unseren Augen schraubten sie die Bundestagssitze um.
Die Sozialwissenschaftler:innen der 10b und 10f bekamen die Gelegenheit zu einem Gespräch mit der Allgäuer CSU-Abgeordneten Mechthilde Wittmann. Sie gab uns interessante Einblicke in den politischen Werdegang und den Alltag einer Volksvertreterin – per Videokonferenz, da sie gerade auf einer Informationsreise in Japan unterwegs war.
Das Abendprogramm war vielfältig und bot die Möglichkeit, in unterschiedliche Richtungen über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, wie z.B. das grandiose Musical „Anatevka“ in der Komischen Oper mit anschließendem Gespräch mit der Dramaturgin, die traurig-komische Geschichte von Florence Foster-Jenkins im Schlossparktheater, die schräge Musikcomediénne Anna Mateur in der Bar jeder Vernunft oder ein selbstgeführtes Outdoor-Escape-Game durch das nächtliche Berlin.
Am Mittwochvormittag war zuerst einmal Erholung angesagt, bevor mittags die Gedenkstätte Hohenschönhausen besucht wurde, das einstige Hochsicherheitsgefängnis der DDR. Zeitzeugen, die in DDR-Zeiten als politische Gefangene inhaftiert waren, führten durch die Anlage und erzählten eindrücklich von ihren Erfahrungen mit psychischer Folter und Demütigung in einer Diktatur.
Die Stippvisite im Humboldtforum in der neuen Betonkopie des alten Berliner Stadtsschlosses war dann leider zu kurz, um die vielen spannenden Angebote wahrzunehmen wie z.B. die interaktive „Berlin Global“-Ausstellung.
Diesmal wollten alle nämlich noch einmal ins Hotel zurück, um sich für den Abend zu stärken: Geboten war ganz große Oper mit Richard Strauß‘ „Daphne“ in der Staatsoper, eine klassische Magie-Show im Wintergarte-Varieté (Faszinierend: Die angeblich schönste Toilette Deutschlands), die bei vielen Berlin-Besucher:innen beliebte „Blue Man Group“ oder Improvisationstheater mit den „Gorillas“.
Am Donnerstag spazierten die sechs Klassen durch das „echte“, alternative Kreuzberg zum Jüdischen Museum, ein Muss für alle Berlinbesucher: Die wegweisende Architektur bildet eine spannende Einheit mit der modernen interaktiven Ausstellung über die Geschichte der deutschen Juden. Auch hier war die Zeit fast zu kurz.
Am Nachmittag konnten die Schüler:innen die Stadt auf eigene Faust erkunden und die ruppige Berliner Herzlichkeit kennenlernen, bevor es am Abend ins nahe „Matrix“ ging, den Berliner Traditionsklub, der am Donnerstag für Schulklassen reserviert ist. Manche kamen erst sehr spät ins Hotel zurück – was aber nichts ausmachte, denn auf der langen Rückfahrt am Freitag konnten sich alle ausgiebig erholen …